Lehrpersonen haben die Verantwortung dafür, dass die Lernziele erreicht werden und sind verpflichtet, Schülerinnen und Schülern Rückmeldungen zu ihrem Lernstand zu geben. Insbesondere in der Pflichtschulzeit ist dies für die bedeutenden Fächer Deutsch und Mathematik unabdingbar. Auch die Lernenden wollen wissen, wie gut sie ein Thema verstanden haben. Prüfungen sind eine Möglichkeit, um herauszufinden, wo sie stehen. Es gibt Schulen, die Wortzeugnisse statt Noten erteilen, mit Bewertungen wie «besonders begabt», «begabt» oder «schwach begabt». Wieder andere erteilen Ampelfarben statt Noten: Grün bedeutet: «Weiter so!», Orange: «Knapp ungenügend.» und Rot: «Ungenügend.» Ob Leistungstests mit Noten, Farben oder Wortzeugnisse bewertet werden, spielt keine Rolle. Kindern und Jugendlichen Rückmeldungen zu ihren Leistungen zu geben, ist nichts Verwerfliches, sondern eine Notwendigkeit. 2019 hiess es in den Medien: «Lehrer stellen Noten infrage» oder: «Schweiz will Noten in den ersten sechs Schuljahren abschaffen.» Warum eigentlich ist die Benotung für viele Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrpersonen so sehr belastend und führt zu heftigen Diskussionen? Warum nehmen Rekurse gegen die Notenzeugnisse immer mehr zu, warum kommt es zu Betrügereien? Das prominenteste Beispiel dafür ist jenes der US-Amerikanerin Felicity Huffman, die 15.000 Dollar Schmiergeld bezahlt hat, damit die Antworten ihrer Tochter beim landesweiten Einstufungstest SAT besser bewertet werden. Diskussionen, Rekurse und Betrügereien sind Ausdrücke von Hilflosigkeit und Empörung gegenüber der Tatsache, dass Kinder nicht ihren Bedürfnissen entsprechend gefördert werden. Sollen Noten nun abgeschafft werden? Das wäre unsinnig. Es ist unsinnig, Noten zu verteufeln, denn Noten sind nicht per se belastend, müssen kein Trauma sein. Wenn ein Schüler eine Prüfung schreibt, möchte er wissen, ob und wie er sie bestanden hat. Wenn er 10 von 12 Aufgaben richtig löst, entspricht das einer Bewertung und es macht keinen Unterschied, ob ihm die Lehrperson oder das digitale Lernprogramm anstatt «10 richtig» eine «5» erteilen. Das Problem sind nicht die Noten. Das Problem ist, unter welchen Bedingungen Noten vergeben werden: Wenn die Lehrperson der ganzen Klasse das Thema und den Zeitpunkt vorgibt, zu dem eine bestimmte Prüfung stattfindet, schaden Bewertungen den allermeisten Schülerinnen und Schülern. Denn: Zu viele Kinder sind noch gar nicht bereit für diese Prüfung, während etwa ein Drittel der Klasse schon für die nächste Prüfung bereit ist. Noten und andere standardisierte Bewertungen, die unter solchen Bedingungen zustande kommen, demotivieren und sagen zudem nur einen Bruchteil aus darüber, was die einzelnen Schüler tatsächlich zu leisten vermögen! Sie zeigen hauptsächlich, wie die Leistungen der einzelnen Schüler dastehen im Vergleich zu den Leistungen der anderen. Wettbewerb kann Gleichaltrige anregen. Übermässiger Wettbewerb demotiviert! Deshalb sollten Lernende in den wichtigen Selektionsfächern Deutsch und Mathematik selbst bestimmen dürfen, wann sie für welche Prüfung bereit sind.